Hendiadys (Hendiadyoin, Zwillingsformel) und Hendiatris (Trikolon, Drillingsformel)
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Hendiadys in der Alltagssprache
In der modernen Gemeinsprache ist das Hendiadys eine rhetorische Figur, bei der zwei mit und verbundene Quasi-Synonyme zu einem Ausdruck zusammenwachsen. Durch das Hinzutreten des Quasisynonyms wirkt die Aussage dominanter, ohne dabei semantisch zu gewinnen:
- Da hilft kein Jammern und kein Klagen.
- Er kann mit Fug und Recht behaupten, der erste blinde Surfer Deutschlands zu sein.
- Gesund und munter kehrten wir von der Wanderung zurück.
Eine zusätzliche Emphase können solche Figuren durch Alliteration erfahren:
- Er war Feuer und Flamme.
- Sie standen mit Kind und Kegel vor der Tür.
- Er bekannte frank und frei, mit ihr eine jahrelange Liebschaft gepflegt zu haben.
Wie wir oben schon gesehen haben, können die Konstituenten einer Hendiadys unterschiedlichen Wortarten angehören:
- Bausch und Bogen
- gehegt und gepflegt
- klipp und klar
- nie und nimmer
Da durch das Hinzutreten des Quasisynonyms keine semantische Erweiterung stattfindet, haben wir es zunächst mit einer rein stilistischen Strategie zu tun. Doch nicht ganz.
Hendiadys in der Rechtssprache
Lange Zeit war die Bildung von Paarformeln ein wichtiges Mittel der Terminologisierung im Rechtswesen. Das Hendiadys hatte hier also eine semasiologische Funktion. Beispiele für solche Paarformeln sind Kind und Kegel (rechtmäßige und unrechtmäßige Kinder) oder Haus und Hof (der gesamte Besitz). In der modernen Rechtssprache werden Hendiadys zwar nicht mehr produktiv gebildet, tradierte Formeln aber durchaus noch anzutreffen:
- Leib und Leben
- Treu und Glauben
- Grund und Boden
- Hab und Gut
… bzw. in anderen Wortarten:
- bewusst und gewollt
Hendiadys in der Dichtung
Ursprünglich (bzw. so, wie es aus der Antike übernommen wurde) war das Hendiadys noch etwas anderes, nämlich eine Figur, die durch Auflösung einer attributiven Konstruktion in eine Aufzählung entstand (Sequenzialisierung):
- in einem Glasrahmen – in Glas und Rahmen
- der blaue Himmel über mir – das Blau und der Himmel über mir
- der graziöse Gang des Rappen – die Grazie und der Gang des Rappen
Hendiatris (Trikolon)
Die Zahl 3 macht uns glauben, dass so unterschiedliche Dinge wie Vater, Sohn und heiliger Geist tatsächlich irgendwie zusammenpassen. Das Hendiatris oder Trikolon, deutsch Drillingsformel, suggeriert Geschlossenheit, Vollständigkeit.
Beispiele für Drillingsformeln:
- Wein, Weib, Gesang
- Sonne, Mond und Sterne
- für die Dame, für den Herrn, für das Kind
- höher, schneller, weiter
- veni, vidi, vici
- passt, wackelt und hat Luft
- verliebt, verlobt, verheiratet
- кровь, пот и слёзы
- Мир! Труд! Май!
Das Hendiatris wird auch heute noch in allgemeinsprachlichen Texten benutzt, um den Eindruck Ganzheit bzw. Umfänglichkeit zu erzeugen:
- Масштабы выбытия и утрат вооружений, военной техники, военного имущества были беспрецедентны.
- В этой ситуации следует активно маневрировать, не ввязываться в размены и не подставляться.
- Общая закрытость системы, информационная недостаточность и строгие ограничения по секретности в этой области – норма.
- Бывают люди, у которых нервы не защищены изоляцией. То, чего другие просто не замечают, их доводит до панических атак, до истерики, до распада.
- Таких случаев было немало: ради забавы они стреляли в мирных людей, детей и женщин.
Übersetzung
- eine Komponente eliminieren ✎ сборы и платежи – Abgaben✎ затраты и расходы – Ausgaben
- auflösen, dies besonders bei den (mittlerweile im Rückgang befindlichen) Synonymbinomina ✎ друг-приятель – guter Bekannter ✎ мастер-умелец – echter Könner
- beibehalten ✎ кричать и плакать – heulen und zetern ✎ Отец Александр, от печали и смущения спотыкающийся, блестел и искрился у золотеньких огней …1 – Die vor Kummer und Verlegenheit ganz linkische Erscheinung von Vater Alexander funkelte und glitzerte im goldenen Schein der Kerzen … ✎ пить из кубка и золота – aus Gold und Bechern trinken
- einführen ✎ слуга старого закала – ein Diener von altem Schrot und Korn
Zitierte Quellen
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1 | aus Kapitel 1 des Romans „Белая гвардия“ von Michail Bulgakow |
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